Ohne Rücksicht auf Leser

Als Blogger stösst man irgendwann an gewisse Grenzen. Diese Grenzen sind beispielsweise erreicht, wenn man sich während des Schreibens fragt, ob man diese Formulierung, dieses Thema, diesen Gedankengang nicht irgendwie, irgendwo irgendwann schon mal verwendet hat. Gefährlich. Ein Zeichen von Langeweile, der Verlust von Kreativität. 
Andere Grenzen liegen in der Reichweite von Blogs. Ein Dilemma eigentlich, denn jeder Blogger (oder zumindest ich) wünscht sich, gelesen zu werden, und so viele Leute wie möglich zu erreichen. Gleichzeitig wird die Freiheit eingeschränkt - dann nämlich wenn zunehmend Personen den Blog lesen, die einen persönlich kennen. Sie könnten ja im jeweiligen Text vorkommen, und sich beleidigt fühlen, über die Art und Weise wie sie beschrieben werden. Ein Dilemma eigentlich, denn auf der einen Seite sollen so viele Personen wie möglich die eigenen Texte lesen, aber eigentlich doch niemand - damit man weiter ungehemmt erzählen und kommentieren darf. An diesem Punkt bin ich nun angelangt. So viele Leute wissen von meinen Texten, dass ich mir immer überlege, wen ich ungefährlich beschreiben kann, und wen ich lieber weglassen soll. Wie gerne würde ich Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte (natürlich ohne sie als solche erkenntlich zu machen) in meine Texte einbinden, Erlebnisse überspitzt darstellen und darüber lachen - wenn ich nicht wüsste, dass sie es lesen, und womöglich falsch auffassen würden. Aus Höflichkeit verzichte ich darauf, und konzentriere mich auf langweilige Dinge, sauge mir möglichst spannende Adjektive aus den Fingern, um Situationen mit Fremden so amüsant wie möglich darzustellen. 

Während ich diesen Text mitten in der Nacht auf meinem Laptop eintöggele, und dabei den Klängen von Pablo Nouvelle lausche, gleite ich langsam in die Vergangenheit zurück. An den Moment, als meine Blogger Geschichte begonnen hat. Mit erstaunlichen 15 Jahren beschloss ich, meinen eigenen Blog zu starten. Der erste Eintrag ist peinlich und faszinierend zugleich: Eine feurige Argumentation gegen die Einstellungen meiner Mutter über Teenager. Danach folgten Erlebnisse in der Schule, der erste Liebeskummer, Gedanken über Sterben, Ereignisse eines Auslandaufenthalts und Gedichte.  heute bewundere ich die philosophischen Gedanken, die damals durch meine Finger auf die Tastatur flossen. Eine Fähigkeit, die ich heute nicht mehr wiederfinden kann. Damals schrieb ich für eine Handvoll Leute, nur sehr wenige davon kannten mich überhaupt. Ich schrieb über jeden und alles, ohne mir Gedanken darüber zu machen, wie das ankommen könnte. Frei nach dem Motto: „Be nice to me or I’ll blog about you!“
Bloggen war meine Geheimwaffe. In praktisch jeder Situation konnte ich mich mit der Vorstellung beruhigen, ermutigen oder erfreuen, später darüber zu schreiben. Heute geht es mir nur noch begrenzt so. Ich möchte mich erleichtern, amüsieren, muss aber einsehen, dass dies nicht mehr so geht wie früher. Irgendwie fast so, wie wenn man einen Geheimplatz hat, einen wunderschönen Rückzugsort - beispielsweise die Halbinsel Chasté im Silsersee - aber dann einsehen muss, dass diesen Ort sehr viele Menschen kennen. Die Magie geht verloren, wenn man erkennt, dass die Dinge gar nichts Spezielles sind, sondern Teil eines grösseren Ganzen. 

Für heute sind meine Seelenergüsse erschöpft. Nach der 15. Wiederholung ist auch das Lied von Pablo Nouvelle irgendwie am Ende. Einige Fragen bleiben aber immer noch hängen: Dürfen das Blogger überhaupt? Sich schamlos über andere mockieren, ihren Gedanken freien Lauf lassen, auch wenn diese sarkastisch und vielleicht allzu ehrlich sind? Gehört es zum Bloggersein dazu, dass man auf die potentiellen Leser immer Rücksicht nimmt, oder ist es erlaubt, wirklich ganz ehrlich zu sein? 

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