Ohne Worte

Vielleicht brauchte ich eine Brille? War das etwa grade wirklich wahr oder nur Einbildung? Ich streckte meine Hand aus, wollte gerade nach dem Pullover fassen, doch als ich es schon fast geschafft hatte, bemerkte ich, dass die Person eigentlich meilenweit entfernt von mir weg stand.
Also natürlich nicht wirklich, nur im übertragenen Sinne, so weit kann ich übrigens nicht sehen. Auch mit Brille nicht. Und nach Pullovern von anderen Leuten grapsche ich normalerweise auch nicht.
Aber es fühlte sich so an, als würde die Person, nennen wir sie X, tatsächlich so weit entfernt stehen. Und warum? Weil es auf dieser Welt zwei Sorten von Menschen gibt: Solche, die man leicht erreichen kann, und solche, die unerreichbar sind. Und es auch bleiben, weil man nicht an sie herankommt, oder weil sie schlicht und einfach zu weit weg stehen. Nicht, dass man nicht versuchen würde, an sie heranzukommen. Doch was ist die beste Möglichkeit? Marathontraining betreiben? Eine Brücke zum anderen Ufer bauen? Den Hampelmann machen? Mit dem Lasso einfangen?
Ich wollte gerade den Griff zum Lasso machen, als mir noch etwas anderes einfiel. Dass man Menschen auch noch nach anderen Kriterien einteilen kann. Es gibt Menschen, die mit Worten umgehen können, und Menschen die das nicht können. Auch nicht, wenn sie vor erreichbaren Personen stehen. Meine Hände entspannten sich, liessen das imaginäre Lasso fallen und vergruben sich in meinen Jackentaschen. Mit gefühlten hundert Schritten überbrückte ich die kurze Distanz zu X und ging dann vorbei, ohne den Blick zu heben. Warum?
Weil ich ein Mensch ohne Worte bin.

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